Nach dem Erfolg, der Abstieg?

Über die Normalität innerer Leere nach dem Erfolg

Nach dem Erfolg, der Abstieg? Über die Normalität innerer Leere nach dem Erfolg

von Dieter Bickenbach

Es geschah regelmäßig nach den großen Erfolgen. Der Sieg war gelungen, der Zweck war erreicht. Es fühlte sich großartig an. Doch dann kam die Leere, das tiefe Loch. „Ich hatte keine Selbstliebe, kein Selbstbewusstsein. Ich mochte nicht, wen ich im Spiegel sah.“ So beschreibt der erfolgreichste Schwimmer, wenn nicht sogar der erfolgreichste Olympionike aller Zeiten, Michael Phelps, seinen mentalen Zustand nach großen Erfolgen – und davon gab es eine Menge. Sein Ausweg: noch einmal hinauf auf den Gipfel, bei den nächsten Weltmeisterschaften oder bei der nächsten Olympiade. Bis er sich das nicht mehr antun wollte und nach der Olympiade 2012 in London beschloss seine Karriere zu beenden. Er hatte alles erreicht. Aber anstatt die neu gewonnene Freiheit zu genießen, stellte er sich in Frage. „Was soll ich sonst tun? Wer bin ich außerhalb des Schwimmbeckens?“ Es konnte nur noch abwärtsgehen – unweigerlich. Das tat es dann auch. „Es gab einen Teil meines Lebens, da wollte ich nicht am Leben sein.“ Er hat einen Ausweg gefunden. Er suchte sich Hilfe, übernahm Verantwortung für sich und andere, wurde Vater und erklomm 2016 in Rio noch einmal den Gipfel. Danach war endgültig Schluss und er mit sich im Reinen, auch weil er eine neue Aufgabe gefunden hat – anderen in ähnlichen Situationen zu helfen.

Photo by Serena Repice Lentini on Unsplash

Ihre Situation mag vielleicht nicht ganz so einzigartig und dramatisch sein wie die von Michael Phelps. Trotzdem wäre es überhaupt nicht verwunderlich, sollten Sie sich ähnlich fühlen, nachdem Sie gerade einen großen Erfolg errungen haben. Sie haben vielleicht über einen längeren Zeitraum viel Energie und Herzblut aufgewandt und schließlich erreicht, was Sie sich vorgenommen haben, vielleicht sogar noch mehr. Sie haben ein Startup erfolgreich verkauft. Sie haben sich die Karriereleiter hinaufgekämpft. Sie haben erfolgreich als Geschäftsführerin eines Unternehmens gewirkt. Und plötzlich ist da diese Leere. Sie haben das Auslaufen Ihres Vertrags vielleicht sogar herbeigesehnt, und doch fühlt sich das alles plötzlich mies an. Was, wenn es das jetzt war, wenn es von nun an abwärts geht?
Seien Sie versichert, es ist völlig normal, so zu reagieren. Die Beispiele von Menschen, denen es genauso ging, sind Legion. Überall wo Spitzenleistungen erbracht werden und dafür viel persönliche Energie investiert wurde, geschieht das immer wieder. Genauer untersucht wurde das Phänomen vor allem im Leistungssport.

„Ich mochte nicht, wen ich im Spiegel sah.“
Michael Phelps

Denn am Ende der Karriere als Leistungssportler oder –sportlerin spitzt sich die Situation zu. Viele sind gezwungen, sich neu erfinden zu müssen, einen neuen Lebensinhalt zu finden. Sie sind noch jung und haben sich vielfach noch nie ohne Sport als wesentlichem Lebensinhalt erlebt. Der fällt jetzt weg. Zwei Berliner Sportpsychologen haben den Zustand so beschrieben:

„innere Leere, Verlust des zentralen Lebensinhalts, Verzweiflung, Zukunftsunsicherheit, Ratlosigkeit, mangelnde Ausgeglichenheit aufgrund fehlender körperlicher Betätigung, Enttäuschung und Unverständnis über das Verhalten von Trainern und Mannschaftskollegen sowie Enttäuschung über den Verlust des Interesses an der Person des (ehemaligen) Spitzensportlers von Seiten des Vereins oder des Verbandes“[1]

Ein ähnliches Phänomen beobachten wir im Geschäftsleben. Geben Sie doch mal bei Google „manager arbeitslos“ ein. Schon an vierter Stelle bietet Ihnen Google in der Autovervollständigung folgendes an: „wenn manager arbeitslos werden“ – Indiz für die Relevanz der Situation. Stellen Sie sich vor, ihre letzte Bewerbung war zum Einstieg ins Berufsleben. Danach sind sie aufgestiegen und wurden immer wieder abgeworben. Und plötzlich meint man, auf sie verzichten zu können. Plötzlich sind Sie nicht mehr gefragt. Das ist ein rüder Schock. Von nun an geht’s bergab, oder? Da können schon ungewohnte Ängste an die Oberfläche kommen.

Je höher die eigene Position ist, desto tiefer und schmerzlicher ist der Absturz. Vielleicht erinnern Sie sich noch an einen besonders tragischen Fall, der sich im Mai 2016 in der Schweiz zutrug. Ein halbes Jahr nach seinem Rückzug aus der Chefposition eines Schweizer Versicherers nahm sich deren ehemaliger CEO das Leben. Oder denken Sie an die skandalumwitterten Middelhoffs und Winterkorns dieser Welt und an einen Peter Terium, den ehemaligen RWE- und Innogy-Chef, der Holter-die-Polter seinen Sessel räumen musste. Beispiele gibt es in Hülle und Fülle. Und das hier nur Männer genannt werden, hat nichts damit zu tun, dass es Frauen anders erginge.

Die Lösungsstrategien laufen fast alle darauf hinaus, sich neu zu erfinden – in einem neuen Kontext und zumeist mit einem neuen Thema. Viele, wie die Schweizerische Turnerin Ariella Kaeslin oder Michael Phelps, versuchen anderen zu helfen, denen es genauso ergeht. Steffi Graf oder Philipp Lahm sind Unternehmer geworden. Ein bekannter ehemaliger CEO der Schweizer Bank UBS hat eine karitative Stiftung gegründet. Andere, wie der Fußballer Mario Götze, machen weiter, brauchen aber ein neues Umfeld, um wieder erfolgreich werden zu können.

Dafür ist es notwendig, die Leere erst einmal zu erleben, sich selbst gegenüber achtsam zu sein und sich schließlich wieder die gleichen Fragen zu stellen, die schon bei der Berufswahl zu beantworten waren: Was will ich eigentlich mit meinem weiteren Leben anfangen? Wie will ich wirksam sein? Was will ich hinterlassen? Was muss ich dafür tun? Schlussendlich dringt die Erkenntnis durch, dass nicht nur der Gipfel, sondern auch das Flachland viel zu bieten hat.

Stehen Sie an solch einer Stelle in ihrem Leben? Dann lohnt es sich, tiefer einzusteigen.

Nach dem Erfolg – 5 Phasen der Verarbeitung kritischer Lebensereignisse

Woran liegt es, dass so viele Menschen nach einem größeren Erfolg, einer erfolgreichen Karriere in ein Loch fallen? Weshalb ist das etwas ganz Normales? Wir wollten mehr darüber wissen und haben uns auf die Suche gemacht.

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[1] Reinhard Franke & Robert Böttcher, Vom Star zum Nobody. Das Karriereende von Spitzensportlern, in: Franz Breuer (Hrsg), Abseits!? Marginale Personen – prekäre Identitäten, Münster, LIT, 1999, S. 77

Titelphoto: Christian Ridder (http://business-as-visual.com/)

Autor: Dieter Bickenbach

Autor: Dieter Bickenbach

Co-Gründer und Geschäftsführer des geschaeftswarenladens

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